6.1.2018
Zur Problematik der Amtsdauer einer geschäftsführenden Bundesregierung
Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt. Mit diesem Vorschlag leitet der Bundespräsident das in Artikel 63 Grundgesetz vorgesehene Verfahren zur Wahl des Bundeskanzlers ein. Eine Frist hierfür ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Und so gibt es tatsächlich Juristen, die die Auffassung vertreten, dass die geschäftsführende Bundesregierung ohne jede zeitliche Begrenzung im Amt bleiben kann. Dieser Zustand könnte somit durchaus vier Jahre oder länger dauern. Dass diese Auffassung demokratischen Grundsätzen widerspricht, muss nicht näher dargelegt werden.
Der Bundespräsident muss jetzt ohne weiteres Abwarten von seinem Vorschlagsrecht nach Artikel 63 Grundgesetz Gebrauch machen
Die geschäftsführende Bundesregierung ist nicht vom neuen Bundestag gewählt worden. Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endet in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages(Art. 69 Abs. 2 GG). Bei Berücksichtigung demokratischer Grundsätze kann eine geschäftsführende Bundesregierung nur eine Notlösung sein. In der Praxis mag so eine Regierung notwendig sein. Sie entspricht aber nicht der demokratischen Idee. In Artikel 20 II wird der Grundsatz der Volkssouveränität normiert. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, heißt es in dieser Bestimmung. Die geschäftsführende Regierung ist nicht demokratisch legitimiert, weil sie nicht vom neuen Bundestag gewählt wurde. Die geschäftsführende Bundesregierung darf daher nur für ganz kurze Zeit im Amt bleiben. Die Wahl des Bundeskanzlers muss so schnell wie möglich erfolgen. Daher darf der Bundespräsident die Wahl des Bundeskanzlers nicht über Monate hinweg verzögern. Dies gilt auch dann, wenn die Verhandlungen der Parteien über eine Koalition schwierig sind.
Bundespräsident Steinmeier ist bereits jetzt zum Handeln verpflichtet. Er hat umgehend das in Artikel 63 Grundgesetz vorgesehene Verfahren zur Wahl des Bundeskanzlers einzuleiten. Richtig ist, dass eine Frist für die Einleitung dieses Verfahrens im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Das Demokratieprinzip und der Grundsatz der Volkssouveränität gebieten jedoch ein schnelles Handeln. Der Streit über die Begrenzung der Amtszeit der geschäftsführenden Regierung muss sofort beendet werden.
Eine Ergänzung von Artikel 63 Grundgesetz ist erforderlich
Vielen Bürgern ist nicht bewusst, dass nur der Bundespräsident den Weg zu einer Auflösung des Bundestags und zu möglichen schnellen Neuwahlen eröffnen kann. Die entsprechenden Regelungen in Artikel 63 Grundgesetz haben folgenden Wortlaut:
Artikel 63 ( Wahl des Bundeskanzlers)
(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt.
(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.
(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.
(4) Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muss der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.
Erforderlich ist eine Ergänzung des ersten Absatzes von Artikel 63 Grundgesetz. Eine geänderte, klarstellende Fassung des Artikels 63 Abs. 1 Grundgesetz könnte etwa so lauten:
"Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt. Dieser Vorschlag hat binnen 3 Monaten nach der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags zu erfolgen."
Ein Abwarten des Bundespräsidenten bis Ostern 2018 könnte verfassungswidrig sein
Nach der Bundestagswahl am 24. September 2017 kam der Bundestag am 24.Oktober 2017 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Jetzt, im Januar 2018, ist sofortiges Handeln geboten. Der Bundespräsident muss unabhängig von einer klarstellenden Ergänzung des Verfassungstextes tätig werden. Er hat jetzt ohne weiteres Abwarten von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch zu machen. Die Entscheidungsschwäche überforderter Politiker rechtfertigt es nicht, demokratische Erfordernisse weiterhin zu missachten. Eine Notlösung darf nicht zum verfassungswidrigen Dauerzustand gemacht werden. Der Bundespräsident hat unverzüglich dem Parlament eine neue Bundeskanzlerin oder einen neuen Bundeskanzler vorzuschlagen. Sein Vorschlagsrecht beinhaltet die Verpflichtung, das Parlament nicht noch längere Zeit zu entmachten.
Es kann als verfassungswidrig bezeichnet werden, wenn der Bundespräsident mit der Ausübung seines Vorschlagsrechts allzu lange wartet. Dieses Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten umfasst eben auch die Pflicht, mit raschem Handeln den Weg für eine vom neuen Parlament gewählte Regierung freizumachen. Ein Bundespräsident, der eine geschäftsführende Regierung über viele Monate oder gar Jahre hinweg im Amt belässt, verletzt seine Amtspflichten.